Zur Teilnahme von US-Präsident Joe Biden an der Online-Tagung der Münchner Sicherheitskonferenz und seiner ersten Rede zu den transatlantischen Beziehungen erklären Dr. Franziska Brantner, Sprecherin für Europapolitik, und Jürgen Trittin, Mitglied im Auswärtigen Ausschuss:
Joe Biden ist dabei, die Scherben, die sein Amtsvorgänger hinterlassen hat, zusammenzukehren. Seine Rede wird im Zeichen der Diplomatie und des Wiederaufbaus des transatlantischen Bündnisses stehen. Während Donald Trump die europäischen Partner wie Feinde behandelte, wird Europa für Joe Biden wieder wichtiger Verbündeter sein. Das ist gut, auch wenn es bei den jeweiligen Interessen nicht nur Gleichklang und Harmonie geben wird. Bidens Erwartungen an eine erneuerte transatlantische Partnerschaft bedeuten aber auch, dass die USA Europa beim Umgang mit China, bei Fragen der Rüstungsausgaben und Verteidigung stark in die Verantwortung nehmen werden – mindestens genauso stark wie Donald Trump. Hier sind die Interessen aber nicht überall deckungsgleich. Wir brauchen dafür umso mehr ein handlungsfähiges Europa mit einem klaren strategischen Kompass, das seine Kapazitäten bündelt und Biden konkrete Angebote für eine gemeinsame Agenda macht.
Die wichtigste transatlantische Initiative ist eine Klimainitiative. Das Zeitfenster vor der Klimakonferenz in Glasgow muss von Europa und den USA zum Setzen von grünen Standards und Normen genutzt werden. Mit einem gemeinsame Emissionshandelssystem, einem Grenzsteuerausgleich und Green Finance können Europa und die USA zum Treiber des globalen Klimaschutzes werden. Das erhöht auch den Druck auf CO2-Emittenten wie China, ihren Ankündigungen Taten folgen zu lassen.
Auch bei der Instandsetzung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und der Welthandelsorganisation (WTO) muss es jetzt schnell gehen. Die Corona-Krise und die globale Rezession können nur überwunden werden, wenn die WHO und die WTO handlungsfähig sind. Gemeinsam mit den USA muss Europa sich für die dringend notwendigen Reformen in der WHO und WTO stark machen. Europa und die USA müssen ihren Streit über das WTO-Schiedsgericht endlich beilegen. Reformen der WHO und der WTO sind mit Blick auf das aufsteigende China im gemeinsamen Interesse der transatlantischen Verbündeten. Europa muss Biden aber auch bei der Regulierung und Besteuerung von Digitalkonzernen stärker in die Pflicht nehmen.
Die USA und Europa sollten auch bei der Rettung des Iran-Abkommens eng kooperieren. Die Abstimmung zwischen den europäischen Außenminister*innen und US-Außenminister Antony Blinken kann nur der Anfang für eine verstärkte Kooperation in der Abrüstungspolitik sein. Hier ist aber viel diplomatisches Gewicht auch auf europäischer Seite gegenüber dem Iran verloren gegangen. Zu oft haben sich die europäischen Außenminister*innen hinter die Erzählungen und Vorwürfe des ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump gestellt, als dass sie jetzt ein guter Makler zur Wiederbelebung des so wichtigen Atomabkommens sein könnten.
Die deutsche Bundesregierung und Europa müssen diese Chance für einen Neustart in den transatlantischen Beziehungen nutzen. Dazu verpflichten uns die zahlreichen Herausforderungen, vor denen wir auf beiden Seiten des Atlantiks stehen: die Corona-Pandemie, die globale Rezession, die Erderhitzung und die Erosion der multilateralen Ordnung. Die Bekämpfung dieser Krisen muss der Leitfaden einer neuen transatlantischen Agenda sein. Mit den USA unter Joe Biden ist dies endlich wieder möglich.
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